Alexandra Helmig und Stefanie Harjes – Der Stein und das Meer

Rezension

In einem Meer,
wo die Wellen hohe Purzelbäume schlagen.
An einem Strand,
wo der Wind mit den Sandkörnern spielt.

Mit diesen poetischen Zeilen beginnt und endet das Bilderbuch, das vom Leben und der Zeit erzählt. Ein grüner Stein, der auf den Namen Sören getauft wurde und somit personalisiert für den Menschen steht, liegt seit einer Ewigkeit auf einem hohen Felsen.

Dort beobachtet er die Vögel und die Wellen und fühlt sich vom wirklichen Leben ausgeschlossen, ganz und gar unberührt. Er träumt davon, ins Meer zu kommen. Er hat Glück. Irgendwann kommt das Meer zu ihm und reißt ihn mit in die wilden Fluten. Auf dem Grund des Meeres, wird er Jahr für Jahr geschliffen und jeden Tag verliert er ein Stückchen von sich. Er wird kleiner und kleiner und glatter und glatter. Irgendwann ist er von den Geschichten der Meeresbewohner müde und erkennt, dass der perfekte Ort sein Zuhause ist. Er hat erneut Glück.

Dieser Bilderbuchschatz schildert so poetisch, wie man es selten in Büchern findet, den Verlauf des Lebens. Der jugendliche Drang zur Entdeckung und die damit verbundenen Wünsche und Sehnsüchte, die Handlungen antreiben, ist stark zu spüren. Erfahrungen, die einen polieren und schleifen, gut und schlecht, die einen vielleicht auch glatt werden lassen, weil das Leben einen prägt. Und irgendwann, in aller Weisheit und getränkt mit dem Saft des Lebens, kommt die Zeit und der Wunsch zurückzukehren, zur Basis, zum Ursprungsort, nach Hause.

„Der Stein und das Meer“ ist vordergründig ein Buch für Erwachsene, weil die Botschaft so tiefgreifend ist. Es ermuntert zum selbstständigen Weiterdenken. Es ist nicht dafür gedacht, Erklärungen zu geben, sondern mehr Fragen als Antworten zu entdecken und gleichzeitig über die Relativität der Zeit und verschiedener Sichtweisen zu sinnieren, ohne beliebig zu werden. Das ist auch der Grund, warum mir die Illustrationen, die so eigen sind, außergewöhnlich gut gefallen. Sie öffnen die Tür zur Andersartigkeit, zum Hinterfragen, Bestaunen und Wundern. Sie wecken Reaktionen. Sie bewegen.

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Fazit

Auseinandersetzung mit elementaren Fragen des Lebens

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Meg McKinlay und Leila Rudge – Kleines Nashorn, wo fährst du hin?

Ein kleines Nashorn wollte die weite Welt sehen und tat etwas, was Nashörner gewöhnlich nicht tun. Es fing an zu träumen. Der Wunsch, einmal die Welt sehen, riechen und schmecken zu können wuchs und so baute es schließlich ein Boot.

Unterwegs probierte es von dem salzigen Meerwasser, beobachtete die Fische, bestaunte den Sternenhimmel und segelte bis in die tiefsten Länder und noch weiter. Als es alles gesehen hatte, segelte es wieder zurück und erzählte begeistert von seinen Erlebnissen, die auch unheimlich waren und Gefahren in sich bargen. Und doch war die Reise wunderbar und jede Erfahrung wert.

Rezension

Dieses Bilderbuch handelt vom Leben, schlichtweg vom Wagemut sich auf die Abenteuer des Lebens einzulassen und es voll und ganz in sich aufzunehmen. Das Nashorn verlässt die gewohnte Umgebung und traut sich aus seiner Komfortzone hinaus. Es verirrt sich, trifft auf Unerwartetes, durchlebt Schwierigkeiten und lernt dazu. Es wächst mit jeder Herausforderung und lernt seine Umwelt intensiver wahrzunehmen und wertzuschätzen. Reich an neuen Erkenntnissen kehrt es zurück. Es hat seinen Horizont erweitert, während die anderen Nashörner den Erzählungen nur halbherzig lauschen.

Die Begeisterung kann einzig und allein ein sehr junges Nashorn teilen. Es hat eine Kamera um den Hals hängen und steckt sein Horn ganz nach oben in die Luft. Es lässt sich anstecken und das Träumen beginnt. Dieses Bilderbuch ist für alle mutigen Menschen dieser Welt, die sich auf einer Reise befinden. Es greift emotional an den Wurzeln des menschlichen Daseins. Inhaltlich ruft es unbeirrt und sehnsuchtsvoll: „Öffnet die Tore und geht hinaus! Fallt hin und steht wieder auf! Das ist Leben in all seinen Facetten!“

„Kleines Nashorn, wo fährst du hin?“ ist ein zauberhaftes Bilderbuch für den Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule. Es nimmt die Angst vor dem Neuen. Es zeigt all die wunderbaren Möglichkeiten auf, die auf uns außerhalb des Gewohnten warten. Auch Erwachsenen, die Veränderungen im Leben durchleben, kann die Botschaft dieses Bilderbuchs viel Trost spenden und sie im Wachsen bestärken.

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Fazit

Ein Bilderbuch über den Aufbruch, Wagemut und die Abenteuer des Lebens

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Nicola Davies und Laura Carlin – Himmelskönig

Der namenlose Junge in dieser Geschichte ist fremd in England. Niemand spricht Italienisch, die Sonne scheint viel weniger und das Vanilleeis schmeckt ganz anders. Er hat Sehnsucht nach seiner Heimat. Lediglich die Tauben aus Mr. Evans Taubenschlag erinnern ihn an sein Zuhause. Das Gurren ist ihm vertraut. Der Protagonist beginnt regelmäßig im Taubenschlag auszuhelfen und gewinnt Hoffnung und Vertrauen durch seine Taube “Himmelskönig”, die als beste Brieftaube das große Wettfliegen von mehr als 1.500 km für sich behaupten soll.

Rezension

In diesem Bilderbuch schwingt Unsicherheit, Einsamkeit, Schmerz aber auch Hoffnung und Zuversicht mit. Es geht um das Gefühl seine Heimat zu verlassen und die Fähigkeit sich in einer anderen Kultur und einem neuen Land zurecht zu finden. So wie der Junge „seinen“ Weg sucht, sucht auch die Taube als Verbildlichung seines seelischen Zustandes, im Wettfliegen den Weg zum eigentlichen Zuhause. Es geht um das Suchen und das Finden.

Auch wenn die Taube mehrere Tage brauchte und sich durch Wind und Regen kämpfen musste, ist sie letztendlich angekommen. Der Ausgang der Geschichte ist mehrdeutig. Auch wenn der Junge für sich beschlossen hat, dass er  nun „endlich wusste, wo er zu Hause war“, ist dem Leser unklar, ob er seine ursprüngliche Heimat  oder seine neue Heimat meint. Vielleicht ist es aber auch einfach das Fleckchen im Herzen, das ihm nun Ruhe gibt, weil er sich gar nicht entscheiden muss.

Die Illustrationen schildern wunderbar die innerliche Zerrissenheit des Jungen. Es finden sich viele Weißstellen und schemenhafte Darstellungen auf den Seiten. Die Gebäude und Personen sind oft verschwommen oder umrissartig angedeutet. Dunkel- und Helligkeit wechseln sich ab. Es herrscht Distanz und Nähe, Liebe und Angst, Abgrenzung und Akzeptanz.

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Fazit

Ein tiefsinniges Bilderbuch für alle Menschen dieser Welt – nicht nur Migranten.

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Axel Scheffler und Julia Donaldson – Stockmann + DVD

Stockmann lebt mit seiner Familie, wie soll es anders sein, in einem Baum. Als er eines Morgens seine Runde im Park macht, wird er von einem Hund für ein Stöckchen gehalten. Kurze Zeit später wird er von Kindern für ein Stock-Wettrennen im Fluss genutzt und treibt so immer weiter von seinem Haus weg. Es finden sich immer mehr Menschen und Tiere, die Stockmann für ihre Belange nutzen möchten – mal als Mast, Ritterschwert, Stift oder Flitzebogen. Stockmann treibt den ganzen Sommer und Herbst durch die Gegend. Im Winter wünscht sich Stockmann nichts sehnlicher als zu seiner Familie zurückzukehren.

Stockmann ist einsam und völlig verloren.
Er friert von den Füßen bis hoch zu den Ohren.
Stockmann ist müde. Seine Lider sind schwer.
Er streckt sich, er gähnt. Schon hört er nichts mehr.

Als er aufwacht, befindet er sich als Brennholz direkt in einem Kamin. Wer könnte ihm dort wohl zu Hilfe kommen?

Rezension

Das Pappbilderbuch kommt in Begleitung einer DVD, auf der die Geschichte einfach grandios verfilmt wurde. Hier hat das Buch wirklich Platz sich zu entfalten. So kommen hier Gefühle und Stimmungen zum Ausdruck, die im Buch etwas zu kurz kommen. Die Sehnsucht der Familie nach dem verschollenen Vater kann schon dem einen oder anderen Tränen in die Augen treiben. Zu den Illustrationen von Axel Scheffler muss ich nicht viel sagen: Er ist einfach ein Meister!

Mit dem Erscheinen des Weihnachtsmanns und der übergreifenden Botschaft zur Bedeutung des Zusammenhalts der Familie, katapultiert sich das Buch zur gelungenen Lektüre in der Weihnachtszeit. Während die Reime größtenteils gelungen übersetzt wurden, wird es doch Stellen geben, an denen man zu stolpern beginnt. Die englische Original-Version auf der DVD wirkt  dem entgegen und entfaltet die Schönheit dieser Geschichte in voller Bandbreite. Auch Grundschulkinder im vierten Schuljahr werden der englischen Version mit all ihren visuellen Verständnishilfen gut folgen können.

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Fazit

Warmherzige Geschichte – Familie ist alles!

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Noelia Blanco und Valeria Docampo – Im Garten der Pusteblumen

Im Garten der Pusteblumen
Rezension

Im Windmühlental versteifen die Windmühlen bei der Ankunft der „Perfekten Maschinen“ ihre Arme. Bei den Perfekten Maschinen braucht man nur auf einen Knopf zu drücken und sie zauberen den perfekten Nachtisch, den perfekten Freund, den perfekten Moment. Und so kam es, dass der Wind eines Morgens aufhörte zu blasen … und die Menschen das Wünschen vergaßen.

Außer Anna, einer kleinen Schneiderin, die sich das versteckte Wünschen im Herzen des Tals aufbewahrt hat:

Mein größter Wunsch ist es, etwas ganz Besonderes zu nähen.

Wird sie im Pusteblumengarten, dem Ort, an dem der Wind vor der Ankunft der Perfekten Maschinen noch blies, die Erfüllung ihres Wunsches finden?

Die Titelbildillustration ist so einnehmend und sehnsuchtsvoll, dass man den Blick gar nicht mehr abwenden kann. Die Künstlerin Valeria Docampo, die bereits das wundervolle Bilderbuch Die große Wörterfabrik illustriert hat, schafft es mit ausgewählten, vordergründig dunklen Farben den Perfekten Maschinen und den damit verbundenen Konsequenzen ein drückendes und unheilvolles Erscheinungsbild zu verleihen. Die innere Starre, die diese Neuheit in dem Windmühlental auslöst, ist in dem sandfarbenen Abbild der Bewegungslosigkeit mit dem stehengebliebenen Wetterhahn wunderbar eingefangen.

Die kleine Schneiderin steht sinnbildlich für Träume, Sehnsüchte, Zukunftsvisionen und regt den Leser dazu an sich Gedanken über die evtl. Vor- und vor allem aber auch Nachteile des technischen Fortschritts zu machen. Sie nimmt ihre eigenen Herzensträume in die Hand und schafft es durch Eigeninitiative ihre Visionen zu verwirklichen. Der Pusteblumengarten ist als Symbol für das „In-sich-hineinhören-können“ zu verstehen, als ein Ort der Wunscherfüllung.

Dieses Bilderbuch eignet sich hervorragend zur Thematisierung des technischen Fortschritts und den damit einhergehenden Veränderungen. Besonders aus den Illustrationen der „Perfekten Maschinen“ lässt sich Vieles erschließen, mit Einbezug der Mimik, der gewählten Farben, der  eingeengten, verkabelten Bewohner in dieser ganzen Maschinerie. Das Bild der Menschen in diesen besonderen Kostümen als bestehende Vorrichtung, die Kraft oder Energie überträgt und mit deren Hilfe bestimmte Arbeiten unter Einsparung menschlicher Arbeitskraft ausgeführt werden können, ist vielleicht auch etwas il­lu­si­o­nis­tisch. Doch es zeigt auch, dass dadurch dem Gehirn und vor allem dem Herzen langfristig der Wind aus den Segeln genommen werden kann.

Blick ins Buch
Im Garten der Pusteblumen

Das auf der Plattform „Lehrermarktplatz“ herunterzuladende Minibuch sensibilisiert schon die jungen Schülerinnen und Schüler für mehr Achtsamkeit sich gegenüber. Es ist behilflich, über eigene Hoffnungen und Wünsche nachzudenken und stoßt zudem zur Unterscheidung von erfüllbaren und nicht erfüllbaren bzw. materiellen und ideellen Wünschen an. 

Fazit

Das Bilderbuch berührt durch die einzigartigen, sehnsuchtsvollen Zeichnungen und den kritischen Blick auf die technischen Neuerungen. Eine thematisch betrachtet sehr erfrischende Windbrise im Bilderbuchtal.

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