Fünf blinde Wissenschaftler sonnen sich auf der Terrasse und stellen nebenbei Hypothesen über Sonnengesetze auf. Als sich ihnen ein großer Elefant vor die Sonne stellt, machen sie sich auf den Weg herauszufinden, wer die Sonne verdeckt. Denn da sind sich die Wissenschaftler einig: „Wenn wir wissen wollen, wie wir es vertreiben können, müssen wir wissen, was es ist!“
Einer nach dem anderen ertastet den großen Elefanten und je nachdem was sie zum Fühlen bekommen, werden die abenteuerlichsten Vermutungen angestellt. Der lange Rüssel erinntert an einen Schlauch der Feuerwehr, der Schwanz an eine Toilettenbürste, die großen Ohren an einen Teppich und der breite Rücken an einen Berg. Während der Streit explodiert und die Wissenschaftler sich böshafte Beschimpfungen zubrüllen, entschwindet der Elefant dem Geschehen still und leise. Und die Wissenschaftler? Nun ja, sie verschließen weiterhin die Augen, auch wenn die Wahrheit so offensichtlich ist…
Solche Bilderbuchschätze trifft man selten. Martin Baltschein ist es gelungen ein Bilderbuch zu kreieren, das zum Nachdenken, Lachen, Weiterspinnen, Fragen und vor allem Hinterfragen anregt. Dies ist sicher kein Buch für ebenmal zwischendurch, es ist eines zum Zusammensein, Diskutieren und In-sich-gehen. Eines voll von Philosophie und Lebensweisheit.
Den bedeutvollen Inhalt ergänzen die außerordentlich gut gelungenen Illustrationen, die stets die Tragik der Blindheit der Wissenschaftler verbildlichen. Das Beharren auf eigenen Theorien ist durch die Person der Wissenschaftler ein wunderbar herausgearbeitetes Indiz für Starrsinnigkeit, Unnachgiebigkeit und Blödheit. Der Spott und die Verleumdung werden einfach nur zu genüsslich in Wort und Bild ausgewalzt. Die auf dem Fundament dieses Scheuklappen-Denkens inszenierte Welt aus schablonenhaften Figuren ist zu fabelhaft.
Die Geschichte erinnert mich sehr stark an das Buch „7 blinde Mäuse“ von Ed Young. In beiden Büchern wird ein Elefant ertastet und seine Körperteile zu den wundersamsten Interpretationen umgedichtet. Während es bei den sieben Mäusen ebenfalls zum Streit kommt, betrachten sie im Nachhinein das Wesen aus der Distanz und erkennen, dass jede Maus irgendwie Recht gehabt hat. Diese Erkenntnis fehlt in diesem Bilderbuch. Die Wissenschaftler erfassen nicht die Tatsache, dass eine Perspektive allein noch nicht die ganze Wahrheit erfasst.
Ein weiterer thematischer Komplex, den dieses bildreiche Buch berührt, ist die Entstehung von Streit, weil man die ganzen Zusammenhänge nicht sieht und sich nur auf seine Sichtweise konzentriert. Neben diesen bedeutsamen Botschaften, eignet sich das Bilderbuch auch als Einstieg in die Welt des Sinns „Tasten und Fühlen“. Die Geschichte lässt sich wunderbar nachspielen, indem den Kindern die Augen verbunden werden und jedes Kind nur einen bestimmten Körperteil einer größeren Figur abtastet und schildert, was es fühlt.
Das folgende Arbeitsblatt zieht einen Vergleich zwischen den Bilderbüchern „Die Elefantenwahrheit“ und „7 blinde Mäuse“. In der sich schneidenden Fläche sollen Gemeinsamkeiten und in den jeweiligen Kreisen die Unterschiede notiert werden. Beide Bücher lassen sich wunderbar auch in einer AG zum Thema „Philosophieren mit Kindern“ einsetzen.
Tiefgründig, vielschichtig, rundum gelungen!
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